Stärkung des Gesundheitsstandorts Baden-Württemberg durch Forschung

Am NMI in Reutlingen starten drei neue Forschungsprojekte, die im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg gefördert werden

Das Land Baden-Württemberg hat dem NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen und seinen Projektpartnern eine Förderung in Höhe von rund 4 Mio. Euro zugesagt, um den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg strategisch und auf höchstem Niveau weiterzuentwickeln. Insgesamt fördert das Land die Umsetzung von Projekten aus dem Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg für 2020 und 2021 mit 50 Mio. Euro. Am NMI in Reutlingen werden mit den bewilligten Mitteln die Forschung im Bereich der personalisierten Diagnostik und Therapie intensiviert sowie digitale Prozesse für die Nachverfolgbarkeit von Gewebeproben etabliert.

 
 

Personalisierte Diagnostik

Die Zukunft der Medizin liegt in der personalisierten Diagnose und Therapie von Krankheiten. Durch die differenzierte Betrachtung von Patienten und ihren Erkrankungen steigt nicht nur der Behandlungserfolg – auch die Behandlung an sich gestaltet sich effizienter. Mit der Erforschung und Etablierung personalisierter Diagnostikansätze, wie sie die außeruniversitäre Forschungseinrichtung NMI in Reutlingen gemeinsam mit ihren Projektpartnern anstrebt, zeigt sich die Gesundheitsforschung am Standort Baden-Württemberg innovativ und wettbewerbsfähig.

 

Krankheiten frühzeitig und individuell diagnostizieren

Mit der Fragestellung, wie Krankheiten möglichst früh erkannt oder gar vorhergesagt werden können, beschäftigt sich unter Leitung des NMI eine Gruppe universitärer und außeruniversitärer Einrichtungen, Klein- und Mittelständischer Unternehmen sowie Partner aus der Industrie. Ziel dieses interdisziplinären Zusammenschlusses ist die Entwicklung neuer Prozesse und Technologien, um Krankheiten frühzeitig vorauszusagen und entsprechende Therapieentscheidungen zu treffen. Dabei stehen Krankheiten mit entzündlichen und immunassoziierten Komponenten im Fokus. Denn während uns unser Immunsystem vor einer Vielzahl von Krankheiten schützt, ist es auch an der Entstehung degenerativer Erkrankungen wie beispielsweise multipler Sklerose, Parkinson oder Krebs beteiligt.

Am NMI werden neuartige Nachweisreagenzien entwickelt, um die Aktivierung von Immunzellen in Patienten mit bildgebenden Verfahren optisch darzustellen. Hier nutzt das Reutlinger Forschungsinstitut seine Expertise in der Entwicklung rekombinanter Antikörper und Nanobodies, die sich aufgrund ihrer geringen Größe und hohen Stabilität ganz besonders für solche Verfahren eignen. Parallel werden hochempfindliche Nachweisverfahren, sogenannte Immunassays, für eine verbesserte Diagnostik entzündlicher Erkrankungen weiterentwickelt. Um Medikamente zu erproben und ihre Wirkung im Patienten vorherzusagen, werden darüber hinaus neuartige Zell- und Gewebemodelle entwickelt und eingesetzt, die wie kleine Teile des Gehirns aufgebaut sind. Das benötigte Zellmaterial wird aus Hautzellen von erkrankten Patienten gewonnen und durch genetische Reprogrammierung in Gehirnzellen umgewandelt. Diese patientenabgeleiteten Zellmodelle stehen für die Analyse entzündlicher Prozesse sowie für die Erprobung neuer Medikamente zur Verfügung.

Wie weit die Möglichkeiten der personalisierten Diagnostik reichen, erklärt Prof. Dr. Katja Schenke-Layland, Direktorin am NMI: „Die personalisierte Medizin hat das Potenzial, die Krankenversorgung zu revolutionieren. Denn das erklärte Ziel ist nicht nur, Krankheiten individuell zu erfassen, sondern auch Krankheitsverläufe vorherzusagen und zuverlässige, patientenspezifische Therapieentscheidungen zu treffen.“

 

Krankheitsindikatoren zuverlässig identifizieren

Weitere konkrete Anwendungsgebiete der personalisierten Diagnostik sind die Transplantationsmedizin und die Infektiologie. Nach einer Organtransplantation, während einer Krebsbehandlung, oder beim Vorliegen einer Infektionskrankheit wie Hepatitis, ist die konstante Beobachtung verschiedener Krankheitsindikatoren notwendig. Um dies zu ermöglichen, vor allem, wenn Analyseergebnisse innerhalb kürzester Zeit vorliegen müssen, entwickelt das NMI unter Leitung des Hahn-Schickard-Instituts für Mikroanalysesysteme in Freiburg und gemeinsam mit dem Physiologischen Institut der Universität Freiburg die entsprechende Sensorik. Diese basiert auf biologischen Nanoporen, die bei nichtinvasiven Monitoring-Tests zum Einsatz kommen sollen. So sollen sich mittels der zu entwickelnden Tests beispielsweise Entzündungsmarker schnell und unkompliziert aus Speichelproben bestimmen lassen.

Bei biologischen Nanoporen handelt es sich um präzise Werkzeuge im Nanometerbereich, die sich für die Analyse einzelner Moleküle eignen. Die Messempfindlichkeit von Nanoporen zu steigern, stellt Nano- und Elektrotechniker jedoch gleichermaßen vor eine Herausforderung. „Unser Ziel ist es deshalb, die Messempfindlichkeit der Sensoren im Rahmen des Projekts zu verbessern“ erklärt Dr. Peter Jones, Leiter der Gruppe Biomedizinische Mikro- und Nanotechnik am NMI. Eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen, bietet die Kombination von künstlichen und biologischen Nanoporen.

 

Höhere Patientensicherheit dank digitalisierter Prozesse

Ein weiteres, durch das Land Baden-Württemberg gefördertes Projekt setzt sich zum Ziel, die Patientensicherheit zu erhöhen, indem Gewebeproben künftig besser nachverfolgt werden können. Denn die Nachverfolgbarkeit und korrekte Zuordnung der Gewebeproben zu einem Patienten sind für den Behandlungserfolg essentiell.
Bei der Entfernung eines Tumors müssen im OP anfallende Gewebeproben noch während der Operation zeitnah analysiert werden, um sicher zu stellen, dass das Tumorgewebe vollständig entfernt wurde. Die Verwechslung oder gar der Verlust von Proben würde die Patientengesundheit gefährden, beispielsweise, indem eine Fehldiagnose gestellt wird. Deshalb werden die Gewebeproben im Rahmen des Gemeinschaftsprojekts mit der RFID-Technologie gekennzeichnet und auf ihrem Weg in der Klinik zuverlässig verfolgt. Dies ermöglicht eine optimale Logistik der Proben und einen zuverlässigen, schnellen Zugriff auf Analysedaten und damit die Erhöhung der Patientensicherheit. Geleitet wird das Projekt vom Team um Prof. Dr. Sara Y. Brucker und Prof. Dr. Diethelm Wallwiener am Forschungsinstitut für Frauengesundheit und der Universitäts-Frauenklinik an der Universität Tübingen.

 

Netzwerke ausweiten und Erfahrungen teilen

Das NMI Reutlingen unterstützt die Eberhard-Karls-Universität Tübingen außerdem beim Aufbau von Kooperationen zwischen medizinischer Forschung und Wirtschaft, mit dem Ziel, therapeutische Konzepte zu validieren. Insbesondere werden Ausgründungen aus universitären Forschergruppen unterstützt. Mit der Gründung eines baden-württembergischen „Center for Academic Drug Discovery“ (BWCAD2) können neue therapeutische Konzepte effizienter und schneller umgesetzt werden.

 

Mehrwerte schaffen – für den einzelnen Patienten und die Wirtschaft

Für Prof. Schenke-Layland, die neben ihrer Funktion als Universitätsprofessorin und Direktorin des NMI auch diverse Ämter im Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg bekleidet, liegt der Schlüssel zum Erfolg medizinischer Technologien in der angewandten und wirtschaftsnahen Forschung. So leitet sie nicht nur die Arbeitsgruppe „Wirtschaftsnahe Forschung und Innovationen“ am Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, sondern begleitet auch die Themenfelder "Wirtschaftsnahe Forschung und Innovationen für eine gezielte Translation in die Anwendung" und "Gründungen, Start-ups und neue Geschäftsmodelle".

Von der Gesundheitsforschung, wie sie im Rahmen des Forums Gesundheitsstandort Baden-Württemberg auch am NMI durchgeführt wird, hängt nicht nur ganz konkret die Lebensqualität Einzelner ab, sondern auch die Wirtschaftskraft des Landes Baden-Württemberg. Dank der Förderung des Landes ist es möglich, den beschäftigungsstärksten Wirtschaftszweig weiter auszubauen und gleichzeitig in die Gesundheit der Bevölkerung zu investieren. Denn von einer guten Gesundheit profitiert nicht nur der Einzelne, sondern die Gesellschaft als Ganzes.

Die drei Projekte mit Beteiligung des NMI sowie die Ausweitung des BWCAD2-Centers werden durch das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg gefördert.    

 
Über das NMI

Das NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung und betreibt anwendungsorientierte Forschung an der Schnittstelle von Bio- und Materialwissenschaften. Es verfügt über ein einmaliges, interdisziplinäres Kompetenzspektrum für F&E- sowie Dienstleistungsangebote für regional und international tätige Unternehmen. Dabei richtet sich das Institut gleichermaßen an die Gesundheitswirtschaft und Industriebranchen mit werkstofftechnischen und qualitätsorientierten Fragestellungen wie Fahrzeug-, Maschinen und Werkzeugbau.

Das Forschungsinstitut gliedert sich in drei Geschäftsbereiche, die durch ein gemeinsames Leitbild miteinander verbunden sind: Die Suche nach technischen Lösungen erfolgt stets nach höchsten wissenschaftlichen Standards. Im Geschäftsfeld Pharma und Biotech unterstützt das NMI die Entwicklung neuer Medikamente mit biochemischen, molekular- und zellbiologischen Methoden. Der Bereich Biomedizin und Materialwissenschaften erforscht und entwickelt Zukunftstechnologien wie die personalisierte Medizin und Mikromedizin für neue diagnostische und therapeutische Ansätze. Im Fokus des Dienstleistungsangebotes steht für Kunden die Strukturierung und Funktionalisierung von Werkstoffen und deren Oberflächen. Im Geschäftsfeld Analytik und Elektronenmikroskopie werden analytische Fragestellungen beantwortet.

Über die Landesgrenzen hinaus ist das NMI für sein Inkubatorkonzept für Existenzgründer mit bio- und materialwissenschaftlichem Hintergrund bekannt.

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Pressekontakt

Sarah Link
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
NMI Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen

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E-Mail: sarah.link@nmi.de

Quelle:
https://www.nmi.de/de/aktuell/aktuelles/detail/staerkung-des-gesundheitsstandorts-baden-wuerttemberg-durch-forschung/