100 Prozent Recycling: Alttextilien zu hochwertigen Garnen verspinnen
Nachhaltigkeit war das Leitthema der diesjährigen Textilmaschinenbaumesse ITMA. Und so zeigten fast alle Firmen in Mailand neue Technologien für das Textilrecycling. Doch es ist anspruchsvoll, aus Alttextilien hochwertige Garne zu gewinnen und zu ebenso hochwertigen Produkten zu verarbeiten. Noch gibt es nicht für alle Herausforderungen die passenden technologischen Lösungen. Dabei geht es letztlich darum, für jedes Material die richtigen Prozesse zu finden. Dafür haben die Deutschen Institute für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF) zusammen mit dem Sächsischen Textilforschungsinstitut (STFI) eine neue Prüfroutine entwickelt.
Am Anfang des Recyclingprozesses steht das mechanische Reißen, bei dem die Alttextilien zerkleinert werden. In den meisten Fällen schädigt die Prozedur die Fasern. Einzelne Fasern geraten zu kurz, was den anschließenden Spinnprozess erschwert. Um die Reißmaschinen optimal einstellen zu können, wurden nach dem Reißen die Fasern klassifiziert. Dazu haben die Forscherinnen und Forscher eine neue Prüfroutine entwickelt, die mit einem speziellen Messgerät durchgeführt wurde. Die Faserlänge ist der wichtigste Parameter für die Weiterverarbeitung der Fasern und für die Qualität des fertigen Garns aus Recyclingfasern. Garnstücke, die sich noch im gerissenen Material befinden, sind immer länger als die Fasern selbst und verfälschen dadurch die Faserlängenmessung. Durch den Prüfaufbau können noch vorhandene Garnstücke nahezu ohne weitere Fasereinkürzung aufgelöst werden. Somit ist eine exakte Messung der Faserlängenverteilung des gerissenen Recyclingmaterials möglich.
Auf der Basis der Prüfergebnisse können die Reißparameter besser auf das Material abgestimmt werden, so dass die Fasern beim Reißprozess weniger eingekürzt werden. Auf diese Weise können qualitativ höherwertige Garne hergestellt werden. Die Kennwerte des optimalen Recyclingmaterials, die anhand eines statistischen Verfahrens ermittelt wurden, dienten auch dazu, für die Ausspinnung das geeignete Recyclingprodukt und für den Spinnprozess die optimalen Einstellungen und Spinnmittel zu finden.
Anschließend wurden die recycelten Materialien zu Ring- und Rotorgarn verarbeitet. In der Praxis ließ sich das Ringgarn am besten mit dem Kompaktspinnverfahren herstellen. Durch dieses Verfahren können die ohnehin schon kurzen Recyclingfasern wesentlich besser eingebunden werden. Dadurch gewinnt das Garn an Festigkeit.
Mit der neuen Prüfroutine und den dadurch optimierten Prozessen war es möglich, Garne ohne Beimischung aus 100 Prozent recycelten Aramidfasern herzustellen, die anschließend zu Gestricken weiterverarbeitet wurden. Da Aramidfasern sehr teuer sind, senkt das Verfahren die Kosten, spart Rohstoffe und trägt zu mehr Nachhaltigkeit bei. Auch Baumwollfasern wurden in Mischung von 80 Prozent Gutfasern und 20 Prozent Rezyklat versponnen. Nach Projektabschluss konnte der Rezyklatanteil bei Baumwolle auf bis zu 70 Prozent erhöht werden.
In der Textilbranche herrscht häufig Skepsis, ob geschlossene Kreisläufe, also cradle to cradle, möglich sind. Mancher stellt sich gar die Frage, ob es nicht ebenso nachhaltig sei, die gebrauchten Textilien zu verbrennen und die entstehende Wärme als Energiequelle zu nutzen.
Die Forschungsarbeit von DITF und STFI zeigt hingegen, dass es möglich ist, recyceltes Material zu 100 Prozent wieder zu verarbeiten. Die Garne müssen jedoch produktorientiert eingesetzt werden, das heißt, nicht jedes Garn aus recycelten Fasern passt für jede Anwendung. Denn durch den Reißprozess kommt es unweigerlich zu Qualitätseinbußen der Fasern, zum Beispiel bei der Garnfestigkeit.
Entscheidend für die Qualität des Garns aus recycelten Fasern ist auch die Qualität des Ausgangsmaterials. Besteht das Alttextil aus vielen unterschiedlichen Materialien, müssen diese erst mühsam getrennt werden. Aus Stroh lässt sich auch hier kein Gold spinnen. „Die Recyclingquote ist ein wichtiges Kaufkriterium, aber man muss die Qualität des Produkts und die Anwendung im Blick behalten“ ist das Fazit von wissenschaftlicher Markus Baumann, Mitarbeiter im Projekt.
Das IGF-Vorhaben 21286 BG/1 der Forschungsvereinigung Forschungskuratorium Textil e.V., Reinhardtstraße 14-16, 10117 Berlin wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
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Stephan Baz M.Sc.
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