08.03.2006 | Pressemitteilung

Blinde sehen wieder Lichtreize

Das Medizintechnik-Unternehmen Retina Implant AG aus Reutlingen hat einen elektronischen Chip entwickelt, der im Auge unter die Netzhaut implantiert wird und dadurch vielen Blinden einen Teil ihres Sehvermögens zurückgeben soll. Nach jahrelanger technischer Entwicklung ist das Projekt nun in die klinische Phase eingetreten. Ende des Jahres 2005 wurden erstmals zwei – bis dato vollkommen blinde – Patienten erfolgreich operiert.

Ein Operationsteam unter Leitung von Prof. Dr. Karl Ulrich Bartz-Schmidt aus Tübingen und Prof. Dr. Veit-Peter Gabel aus Regensburg pflanzte am 24. und 25. Oktober 2005 in Tübingen zwei Patienten jeweils ein dauerhaftes, subretinales Implantat ein. Seitdem konnten die Patienten über mehrere Wochen nachbeobachtet werden, in Tests erkannten sie bereits Lichtpunkte und sogar Muster korrekt hinsichtlich ihrer Lokalisation und Richtung.Dr. Walter-G. Wrobel, Vorsitzender des Vorstands der Retina Implant AG, ist mit den Ergebnissen hoch zufrieden:
»Zum ersten Mal weltweit haben Patienten, die bis dahin blind waren, elektrische Reizmuster, die aus einheitlichen Punkten zusammengesetzt sind, erkannt. Dies beweist die grundsätzliche Richtigkeit unseres subretinalen Ansatzes.« BioRegio STERN-Geschäftsführer Dr. Klaus Eichenberg sieht in der Studie einen weiteren Beleg für die Innovationskraft des Standortes: »Es ist eine medizinische Pionierleistung, die die Voraussetzungen für den Einsatz des aktiven Mikrochips schafft.« Die Wissenschaftler von Retina Implant entwickeln die Netzhautimplantate in erster Linie für Patienten mit Retinitis pigmentosa, einer erblichen Krankheit, die im Laufe des Lebens zur völligen Erblindung führt. Herzstück der Entwicklung ist ein Silizium-Chip mit winzigen Fotosensoren, die eine elektronische Schaltung steuern, sodass – je nach Helligkeit – die Nervenzellen der Netzhaut (Retina) mehr oder weniger stark elektrisch stimuliert werden. Diese senden Impulse über den Sehnerv an das Gehirn. Das Gehirn kann tatsächlich, wie jetzt erstmals nachgewiesen wurde, aus diesen Signalen ein Bildmuster generieren. In der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten klinischen Pilotstudie, die Prof. Dr. Eberhart Zrenner von der Uniklinik Tübingen leitet, wurden die so genannte chronische Implantation und die subretinale Direktstimulation erstmals beim Menschen durchgeführt.

Mittels eines vier-mal-vier-Feldes identischer Elektroden an der Spitze der Implantat-Zunge kann eine Direktstimulation (DS) erfolgen. Chip und DS-Feld, aufgebracht auf einer schmalen subretinalen Polyimid-Folie, wurden bei den zwei blinden Patienten in der Nähe der Makula, der so genannten Sehgrube, implantiert.
Die Stromversorgung erfolgt durch die Aderhaut des Auges mit Hilfe von Leiterbahnen in einem dünnen Kabel unter der Haut, die an einem funkgesteuerten, batteriebetriebenen Empfänger enden.
Nach Auskunft der behandelnden Ärzte lässt die lokale Verträglichkeit für das Gewebe nichts zu wünschen übrig, auch sonstige unerwünschte Nebenwirkungen traten nicht auf. Die beiden Patienten können sowohl durch Reizung einzelner Elektroden Lichteindrücke wahrnehmen als auch durch komplexe Elektrodenfelder erzeugte Muster beschreiben. Dem Studienplan entsprechend wurde bei einem Patienten das Implantat nach vier Wochen entfernt, der andere Patient entschloss sich, das Implantat zu behalten. Beide wurden in dieser Zeit sowohl augenärztlich als auch psychologisch betreut. Nach dem Erfolg der ersten beiden Eingriffe sind bei sechs weiteren Patienten Operationen für das Frühjahr geplant, bei denen dann ebenfalls der Chip erprobt werden soll.

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Retina Implant unter der Netzhaut eines Patienten, mit DS-Elektroden. Aufnahme: Univ.-Augenklinik Tübingen